Samstag, 18. Januar 2014

Text/Lyrics zu Julia Engelmann - Ergreifende Worte in einer Zeit, in der Gedichte zu kurz kommen


"Eines Tages, Baby, werden wir alt sein." Mit diesen aus der Musikszene bekannten, übersetzen Worte beginnt Julia Engelmann ihren ergreifenden Poetry Slam, der beinahe wie eine Rede wirkt und zu mehr gelebter Zeit auffordert.

Ein 1 Jahr altes Video macht die Runde

Julia Engelmann ist bekannt aus der RTL-Soap "Alles was zählt". Die Psychologie Studentin machte im Frühjahr 2013 beim 5. Bielefelder Hörsaal Slam mit und beeindruckte die Menschen.

Seit ein paar Tagen kursiert der YouTube Clip nun im Netz. Die Timelines sind voll von Shares, Likes und Kommentaren.


Der Text? Sentimental. Naiv. Verträumt. Unverstanden. Aber vorallem - wahr!

Liest man die Kommentare zum Video und den Worten von Julia Engelmann, so teilen sich die Gemüter.
Von beeindruckenden Worten ist die Rede. Worte, die unsere Welt braucht. Aber auch Unverständnis macht sich breit. Ein Hip Hop Fake wäre das. Einzelen Zeilen aus Songtiteln aneinander gereiht.
Wenn ihr mich fragt - ich kann nur den positiven Stimmen zustimmen. Die Worte mögen naiv sein. Aber warum nicht? Darf man nicht träumen? Von einer Welt, die einfacher ist? Die uns begeistert? Können wir in unserer Welt nicht mal durchatmen? Rast machen und über unser Leben nachdenken?

Ich finde schon. Wir alle sollten uns Gedanken zu unserer Zeit und unserem Leben machen. Denn irgendwann, da werden wir alt sein. Und dann schauen wir zurück auf unsere Geschichten. Haben wir dann nur positives zu berichten? Nein, wahrscheinlich nicht. Nicht in unserer Welt. Aber wir können unser persönliches Leben so gestalten, wie wir es wollen. Deshalb sollte jeder die Worte ganz individuell für sich selbst interpretieren und sehen, was er für sich daraus ziehen kann.

Der virale Effekt ist enorm

Der YouTube Clip ist wieder ein perfektes Beispiel, wie schnell sich ein Video mit einem Statement viral entfalten kann. Tausende Menschen sehen das Video und teilen es. Schon jetzt hat der Clip über 900.000 Views. Diese Zahl wird auch weiter steigen. Und die sozialen Medien zeigen mal wieder, was sie können!

Hier nun der Text - die Lyrics von Julia Engelmann sind auch geschrieben sehr bezaubernd



Eines Tages Baby, werden wir alt sein. Oh Baby, werden wir alt sein und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können.


Ich, ich bin der Meister der Streiche, wenn’s um Selbstbetrug geht. Bin ein Kleinkind vom Feinsten, wenn ich vor Aufgaben steh‘. Bin ein entschleunigtes Teilchen. Kann auf Keinsten was reißen. Lass‘ mich begeistern für Leichtsinn, wenn ein anderer ihn lebt.


Und ich denke zu viel nach. Ich warte zu viel ab. Ich nehm‘ mir zu viel vor und ich mach‘ davon zu wenig. Ich halt‘ mich zu oft zurück, ich zweifel alles an, ich wäre gerne klug – allein das ist ziemlich dämlich. Ich würd‘ gern so vieles sagen, aber bleibe meistens still, weil wenn ich das alles sagen würde, wäre das viel zu viel. Ich würd‘ gern so vieles tun. Meine Liste ist so lang, aber ich werd‘ eh nie alles schaffen – also fang‘ ich gar nicht an. Stattdessen häng‘ ich planlos vorm Smartphone. Wart‘ bloß auf den nächsten Freitag. „Ach, das mach‘ ich später“ ist die Baseline meines Alltags. Ich bin so furchtbar faul wie ein Kieselstein am Meeresgrund. Ich bin so furchtbar faul, mein Patronos ist ein Schweinehund. Mein Leben ist ein Wartezimmer, niemand ruft mich auf. Mein Dopamin, das spar‘ ich immer, falls ich’s nochmal brauche. 


Und eines Tages Baby, werd‘ ich  alt sein. Oh Baby, werd‘ ich alt sein und an all die Geschichten denken, die ich hätte erzählen können. 


Und du? Du murmelst jedes Jahr neu an Silvester die wieder gleichen Vorsätze treu in dein Sektglas und Ende Dezember stellst du fest, dass du Recht hast, wenn du sagst, dass du sie dieses Jahr wieder vercheckt hast. Dabei sollte für dich 2013 das erste Jahr vom Rest deines Lebens  werden. Du wolltest abnehmen, früher aufstehen, öfter rausgehen, mal deine Träume angehen, mal die Tagesschau sehen für mehr Small Talk, Allgemeinwissen. Aber wie jedes Jahr, obwohl du nicht damit gerechnet hast, kam dir wiedermal dieser Alltag dazwischen. 


Unser Leben ist ein Wartezimmer. Niemand ruft uns auf. Unser Dopamin, das sparen wir immer, falls wir’s nochmal brauchen. Und wir sind jung und haben viel Zeit. Warum sollen wir was riskieren? Wir wollen doch keine Fehler machen. Wir wollen auch nichts verlieren und uns bleibt so viel zu tun. Unsere Listen bleiben lang und so geht Tag für Tag ganz still ins unbekannte Land.


Eines Tages Baby, werden wir alt sein. Oh Baby, werden wir alt sein und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können. Und die Geschichten, die wir dann stattdessen erzählen, werden traurige Konjunktive sein wie: Einmal, bin ich fast einen Marathon gelaufen. Und hätte fast die Buddenbrooks gelesen. Und einmal wäre ich beinahe bis die Wolken wieder lila waren noch wach gewesen. Und fast, fast hätten wir uns mal demaskiert und gesehen, wir sind die Gleichen. Und dann hätten wir uns fast gesagt, wie viel wir uns bedeuten. Werden wir sagen. 

Und, dass wir bloß faul und feige waren – das werden wir verschweigen und uns heimlich wünschen, noch ein bisschen hierzubleiben, wenn wir dann alt sind und unsere Tage knapp – und das wird sowieso passieren – dann erst werden wir kapieren, wir hatten nie was zu verlieren. Denn das Leben, das wir führen wollen – das könn‘ wir selber wählen. Also lass‘ uns doch Geschichten schreiben, die wir später gern erzählen. Lass‘ uns nachts lange wach bleiben, aufs höchste Hausdach der Stadt steigen, lachend und vom Takt frei die tollsten Lieder singen. Lass‘ uns Feste, wie Konfetti schmeißen. Sehen wie sie zu Boden reisen und die gefallenen Feste feiern, bis die Wolken wieder lila sind. Und lass mal an uns selber glauben. Is‘ mir egal, ob das verrückt ist und wer genau kuckt, sieht, dass Mut bloß auch ein Anagramm von Glück ist. Und, wer immer wir auch waren – lass‘ mal werden, wer wir sein wollen. Wir haben schon viel zu lang gewartet. Lass mal Dopamin vergeuden.


„Der Sinn des Lebens ist leben“ - das hat schon Casper gesagt. „Let’s make the most of the night“ – das hat schon Kesha gesagt. Lass’ uns möglichst viele Fehler machen und möglichst viel aus ihnen lernen. Lass‘ uns jetzt schon Gutes säen, damit wir später Gutes ernten. Lass‘ uns das alles tun, weil wir können und nicht müssen. Weil jetzt sind wir jung und lebendig und das soll ruhig jeder wissen.

Und unsere Zeit, die geht vorbei – das wird sowieso passieren. Und bis dahin sind wir frei und es gibt nichts zu verlieren. Lass‘ uns, uns mal demaskieren und dann sehen, wir sind die Gleichen. Und dann können wir uns ruhig sagen, dass wir uns viel bedeuten, denn das Leben, das wir führen wollen, das können wir selber wählen.


Also, los! Schreiben wir Geschichten, die wir später gern‘ erzählen. Und eines Tages Baby, werden wir alt sein. Oh Baby, werden wir alt sein und an all die Geschichten denken, die für immer unsere sind.

3 Kommentare:

  1. Einfach ganz toller Text, der genauso identisch vorgetragen wurde. Davon brauchen viele, die wie ich denken, noch vielmehr. Diese Künstlerin würde ich gerne einmal persönlich kennen lernen oder wenigstens einmal life erleben.
    Denn ich bin schon alt

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  2. Ich fand den Text einfach nur unglaublich gut. Da musste ich mir die Mühe machen und ihn aufschreiben. Ich finde da ist er noch eingängiger als so schon.

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